Vor sechzig Jahren wurden Heinrich Duhme und Gerhard Luther hingerichtet


1. Als Mitglieder im Arbeiterradfahrerbund "Solidarität"
2. Kontakte zu Franz Zielasko aus Gladbeck
3. Was geschah im Frühjahr 1943 in Rheine?
4. Die Verhaftung Zielaskos, Duhmes und Luthers
5. Der Prozess vor dem Volksgerichtshof in Nürnberg
6. Makabre Umstände der Hinrichtung
7. An der Grenze zwischen aktivem und passivem Widerstand

Am 25. Oktober 1944 wurden in Bruchsal zwei aus Rheine stammende Männer auf Grund eines Urteils des Volksgerichtshofes hingerichtet: Heinrich Duhme (links) und Gerhard Luther (rechts). Bisher ist in Rheine hierzu nur sehr wenig bekannt. Die seit wenigen Jahren der wissenschaftlichen Forschung zugänglichen Verfahrensakten (SAPMO-BArch, NJ 203) ermöglichen es, die Hintergründe des Geschehens deutlicher als bisher zu rekonstruieren.

Heinrich Duhme wurde 1894 als Sohn eines Textilarbeiters in Rheine geboren. Nach der Schulzeit arbeitete er zunächst in der Textilindustrie, danach im Tiefbau. Im Ersten Weltkrieg wurde er schwer verwundet und im Sommer 1918 aus dem Heeresdienst entlassen. Danach wurde er als Betriebsarbeiter bei der Reichsbahn in Rheine eingestellt, wo er bis zu seiner Festnahme im Sommer 1943 tätig war.

Duhme stand der SPD nahe, ohne selbst Parteimitglied zu sein. Dies lässt sich daraus erkennen, dass er Mitglied des SPD-nahen Deutschen Eisenbahnerverbandes und des ebenfalls sozialdemokratisch orientierten Arbeiterradfahrerbundes "Solidarität" war, in dem er bis 1933 innerhalb des Gaus Westfalen den Bezirk 8, der das Münsterland und Nordhorn umfasste, leitete.

1. Als Mitglieder im Arbeiterradfahrerbund "Solidarität"

Hier hatte er wohl auch engere Kontakte mit dem drei Jahre jüngeren Gerhard Luther, der im Jahre 1901 mit seinem Eltern von Schüttorf nach Rheine gekommen war. Luther wurde nach seiner Schulzeit bei der Spinnerei und Weberei Hermann Kümpers ausgebildet und beschäftigt. Nach drei Kriegsjahren, die er als Fahrer bei einer Sanitätskompanie absolvierte, arbeitete er zunächst als Werkstatthelfer bei der Reichsbahn, danach seit Mitte der zwanziger Jahre bei der Spedition August Beckmann, bei der er noch bei seiner Verhaftung im Jahre 1943 tätig war. Luther war bis 1933 Mitglied des sozialdemokratisch orientierten Deutschen Textilarbeiterverbandes, der SPD-nahen Selbstschutzorganisation Reichsbanner "Schwarz Rot Gold" und des Arbeiterradfahrerbundes "Solidarität", wo er bis 1933 als Orts- und Bezirksgruppenfahrwart fungierte.


Als sich in der Zeit der Weimarer Republik die KPD von der Sozialdemokratie abspaltete, versuchten die Kommunisten - wie in dieser Zeit üblich - auch entsprechende parteipolitisch ausgerichtete Nebenorganisationen im gewerkschaftlichen, kulturellen und sportlichen Bereich zu gründen. Eine solche Abspaltung erfolgte jedoch nicht bei den Arbeiterradfahrern, so dass hier bis zur Auflösung des Verbandes im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltung 1933 Sozialdemokraten und Kommunisten in einer einheitlichen Organisation zusammen blieben.

2. Kontakte zu Franz Zielasko aus Gladbeck

Aus diesem organisatorischen Zusammenhang ergab sich auch die Bekanntschaft Duhmes und Luthers mit Franz Zielasko (links). Zielasko wurde 1896 als Sohn eines Landarbeiters in der Neumark geboren. Die Familie verzog um das Jahr 1900 in das Ruhrgebiet, wo Zielasko von 1915 bis 1929 Bergmann auf der Zeche Zweckel in Gladbeck wurde. Ebenfalls 1915 trat er dem Arbeiterradfahrerbund "Solidarität" bei, in dem er bis 1933 das Amt des Sportwartes im Gau Westfalen versah.

Im Jahre 1926 trat Zielasko der KPD bei, in der er als Literaturobmann tätig wurde.

Ende 1929 verlor Zielasko seinen Arbeitsplatz in und wanderte daraufhin mit einer Gruppe arbeitsloser Gladbecker Bergleute in die Sowjetunion aus, wo er in einer Schachtanlage bei Tula Arbeit erhielt. Während die meisten seiner ausgewanderten Kollegen nach kurzer Zeit nach Deutschland zurück kehrten, blieb Zielasko in der Sowjetunion und zeichnete sich durch besonders hohe Schichtleistungen aus.

Als 1936 der spanische General Franco gegen die demokratisch gewählte Volksfrontregierung putschte, gehörte Zielasko zu den 5000 Deutschen, die im Rahmen der "Internationalen Brigaden" auf der Seite der Republik gegen die Putschisten kämpften.

Nach Francos Sieg im spanischen Bürgerkrieg kehrte Zielasko in die Sowjetunion zurück. Seit 1942 durchlief Zielasko in Absprache mit dem im Moskauer Exil agierenden Zentralkomitee der KPD eine achtzehnmonatige Ausbildung, bevor er im März 1943 mit dem Fallschirm in der Nähe von Warschau, das heißt im damals von Deutschland besetzten Polen, absprang. Sein Auftrag lautete, als Instrukteur eine regionale Widerstandsgruppe im Ruhrgebiet aufzubauen.

Mit der Eisenbahn schlug Zielasko sich in Richtung Westen durch und begab sich nach seinem früheren Wohnort Gladbeck, den er als Basis für seine künftigen Unternehmungen benutzen wollte. Hier traf er sich zunächst mit einem ehemaligen Mitglied des Arbeiterradfahrerbundes "Solidarität", der ihm die Adressen früherer Funktionäre dieser Organisation mitteilte, darunter wahrscheinlich auch die Adressen von Duhme und Luther.

Zielasko knüpfte bis zu seiner Verhaftung am 7. August 1943 Kontakte mit vielen früheren Bekannten in Gladbeck, Gelsenkirchen, Herne, Essen und Rheine.

3. Was geschah im Frühjahr 1943 in Rheine?

Was spielte sich in diesem Zusammenhang im Frühjahr 1943 in Rheine ab? Anfang April erschien Zielasko in Rheine bei Duhme in dessen Haus an der Hauenhorster Straße und erklärte, er sei seit 1937 wieder in Deutschland und befinde sich gerade im Urlaub. Am gleichen Tage suchten beide auch Luther in dessen Wohnung in der Bruktererstraße auf, wo Zielasko auch übernachtete.

Etwa drei Wochen später erschien Zielasko wieder in Rheine, um Duhme und Luther aufzusuchen.

Schließlich kam Zielasko Ende Mai ein drittes Mal zu Duhme und Luther nach Rheine. Als die beiden irritiert nachfragten, ob er denn immer noch Urlaub habe, offenbarte sich ihnen Zielasko und forderte sie auf, sich am Aufbau einer illegalen Widerstandsgruppe zu beteiligen.

Die entscheidenden Gespräche wurden nachts auf dem Wege von Luther zu Duhme bzw. vor Duhmes Haus geführt, so dass die Familienangehörigen hierüber nicht informiert waren.

Duhme und Luther weigerten sich beide, in einer illegalen Widerstandsgruppe mitzuarbeiten. Sie ließen Zielasko noch einmal in Rheine übernachten, baten ihn dann aber, sie nie wieder aufzusuchen. Duhme händigte Zielasko schließlich 25 Mark aus und gab ihm ein Anschriftenverzeichnis des Arbeiterradfahrerbundes "Solidarität". Luther schenkte ihm Brotmarken, nahm ihn auf seinem LKW bis nach Mülheim mit und gab ihm abschließend 50 Mark. Danach gab es keine Kontakte mehr zwischen Zielasko einerseits und Duhme und Luther andererseits.

4. Die Verhaftung Zielaskos, Duhmes und Luthers

Wie kam es zur Verhaftung Zielaskos und der Personen, mit denen er Kontakt aufgenommen hatte? Spätestens seit Juli 1943 hatte die Gestapo Informationen über die Aktivitäten Zielaskos, wie etwa aus einem Telegramm der Stapoleitstelle Münster vom 22. Juli 1943 hervorgeht: "Zielasko ist hier wieder in Erscheinung getreten und versucht eine illegale KPD-Gruppe zu gründen." Seine Verhaftung erfolgte am 7. August 1943 in der Wohnung seines Quartiergebers Heinrich Poßner in Gladbeck. Zielasko wurde in das Polizeigefängnis Gladbeck eingeliefert. In einem Telegramm vom 10. August 1943 heißt es: "In seiner Vernehmung, die äußerst schwierig verläuft, gibt er lediglich nur das zu, was ihm durch Ermittlungen oder durch Vernehmungen anderer Personen vorgehalten werden kann." Zielasko verstarb am 19. August 1943 in Polizeihaft; als offizielle Todesursache wurde "hochgradige Blutarmut und Gelbsucht" angegeben.

Die Stapoleitstelle Münster erfasste nun auch systematisch alle frühere Funktionäre des Arbeiterradfahrerbundes "Solidarität", weil man in diesem Kreis wohl am ehesten Kontaktpersonen Zielaskos vermutete. Dabei - so ist zu vermuten - stieß sie auch auf die Namen Heinrich Duhme und Gerhard Luther.

Gerhard Luther wurde am 23. August 1943 um 10 Uhr in seiner Wohnung verhaftet, Heinrich Duhme eine Stunde später. Beide wurden zunächst in das Polizeigefängnis Gelsenkirchen und am nächsten Tag nach Gladbeck (links: Polizeigefängnis Gladbeck) gebracht und dort unter dem Verdacht der Vorbereitung zum Hochverrat vernommen. In Gladbeck konnten beide zum letzten Male von ihren Angehörigen besucht werden.

5. Der Prozess vor dem Volksgerichtshof in Nürnberg

Am 3. Januar 1944 überstellte der Oberreichsanwalt die beiden Verhafteten dem Volksgerichtshof, der für die Aburteilung von Hochverrats-Delikten zuständig war. Sechs Wochen später wurden Duhme und Luther in das Zuchthaus Amberg, etwa 60 Kilometer östlich von Nürnberg, verlegt und warteten hier auf ihren Prozess, der am 19. Juli 1944 in Nürnberg stattfand.

Der politische Charakter der Protesse vor dem Volksgerichtshof kann dadurch verdeutlicht werden, dass zwei der drei beteiligten Laienrichter bereits seit 1925 NSDAP-Mitglieder waren.

Die Anklage warf Duhme und Luther vor, Zielasko in seinen Aktivitäten durch die Gewährung von Übernachtungen, Geldzuwendungen, Informationen und auf andere Weise aktiv unterstützt zu haben, was als Vorbereitung zum Hochverrat gewertet wurde. Gegen beide wurde die Todesstrafe beantragt.

Nachdem der Pflichtverteidiger für eine "milde Bestrafung" plädiert hatte - weitere Aktivitäten der Verteidigung sind im gesamten Verfahrensablauf nicht zu erkennen - , schloss sich das Gericht dem Antrag der Anklage an und verurteilte Duhme und Luther "wegen Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode und dauerndem Ehrverlust."

Gnadengesuche der Verurteilten und ihrer Familienangehörigen blieben ohne Wirkung. Am 3. August 1944 ordnete der Reichsminister der Justiz die Vollstreckung des Urteils gegen Duhme und Luther an.

6. Makabre Umstände der Hinrichtung


Die Hinrichtumgsstätte im Strafgefängnis Bruchsal

Zunächst sollte die Hinrichtung in München-Stadelheim stattfinden. Doch "wegen Überfüllung und Beschädigung der Anstalt", die auch dazu führte, dass das Richtgerät nicht intakt sei, musste umdisponiert werden: ersatzweise wurden Duhme und Luther in das Untersuchungsgefängnis Stuttgart verlegt. Doch auch hier wurde das Justizgebäude am 16. September 1944 durch Bombenangriffe schwer beschädigt und die Richtmaschine total zerstört. Duhme und Luther wurden darauf hin in das Strafgefängnis Bruchsal überstellt. Hier erfolgten dann die Hinrichtungen. Der Oberstaatsanwalt beim Landgericht Karlsruhe berichtete einen Tag später an den Reichsminister der Justiz::

Die Angehörigen wurden offenbar zunächst nicht offiziell über die Vollstreckung des Urteils informiert. Frau Luther wandte sich am 17. November 1944 an das Gefängnis in Bruchsal: "Vom Amtsgericht Rheine erhielt ich die Aufforderung das Vermögensverzeichnis meines Mannes, der verstorben sein soll, einzureichen. Auf dem Amtsgericht Rheine hörte ich, dass mein Mann am 25. Oktober 1944 gestorben sein soll. Ich bitte daher mir, als Ehefrau, doch die Nachricht zukommen zu lassen, dass mein Mann gestorben ist." Diese Mitteilung erfolgte schließlich am 22. November 1944, also genau vier Wochen nach der Hinrichtung.

Nach der Aktenlage ist anzunehmen, dass Frau Duhme noch später amtlich über den Tod ihres Mannes informiert wurde. Eine entsprechende Anfrage an die Strafanstalt vom 8. Januar 1945 ging dort - wahrscheinlich durch die Umstände des Kriegs bedingt - erst am 11. Februar 1945 ein. Man kann nur spekulieren, ob und wann die Nachricht des Gefängnisdirektors in den Wirren der letzten Kriegswochen noch in Rheine angekommen ist.

7. An der Grenze zwischen aktivem und passivem Widerstand

Fasst man die aus den Quellen erschließbaren Informationen zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: Heinrich Duhme und Gerhard Luther bewegten sich im Frühjahr 1943 auf einer Grenzlinie zwischen aktivem und passiven Widerstand gegen das NS-Regime. In einer Situation, in die sie ohne ihr eigenes Zutun geraten waren, weigerten beide sich, sich einer Gruppe des organisierten Widerstandes anzuschließen, unterließen es aber auch, Zielasko bei den Behörden des NS-Staates anzuzeigen, wozu sie nach den damaligen Gesetzen verpflichtet gewesen wären. Im Gegenteil: dadurch, dass sie Zielasko durch Unterkunft, Geld und Informationen unterstützten, ermöglichten sie ihm, seine Organisationstätigkeit gegen das NS-Regime fortzusetzen.

Darin besteht ihr eigener Beitrag zum aktiven Widerstand.

Lothar Kurz


Vollständiger Text des ausführlicheren VHS-Vortrages vom 14.10.2004 mit Quellenangaben
Siehe auch: Elena Thieme, Heinrich Duhme (1894 - 1944), in: Alfred Gottwaldt (Hg.), Eisenbahner gegen Hitler. Widerstand und Verfolgung bei der Reichsbahn 1933 - 1945, Wiesbaden 2009, S. 310 - 315
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